Was das
Gerede über Ethik noch soll, nachdem ruchlose Extremisten mit einem
Teppichmesser Tausende in den Tod reissen und den Lauf der Welt verändern
können, fragte mich ein Unternehmensführer einen Monat nach
dem Tag, der sich als Markstein dieses beginnenden Jahrhunderts einprägen
wird. Erschütterung, Schock, Fassungslosigkeit: So manches mochte
angesichts der Unvorstellbarkeit des Geschehenen als bedeutungs-, wenn
nicht gar sinnlos erscheinen.
Und doch: Auch wenn Krisensituationen
nach schnellen Schlüssen rufen, sind Kurzschlüsse
nicht die besten. Die Litanei der stetig wiederholten Horrorbilder
darf das Denken nicht ausschalten. So nachfühlbar der Schrei
nach «infinite justice», so unreif ist er.
Kurzschluss 1: Der Mensch hat sich eine Welt geschaffen, für
die er nicht geschaffen war, sagte einmal ein Wissenschafter.
Wir haben uns mit technischen Errungenschaften die Welt untertan
gemacht. Allein, dabei vergassen wir, dass es neben uns die
«Andern», gibt, welche nicht am Lebensstil teilhaben,
den die Twin Towers symbolisierten. Das wurde mir nie so bewusst,
wie als ich in China die auf Chinesisch synchronisierte TV-Serie
«Baywatch» sah. Wenn Hollywood zur Maximierung der
Verwertungserträge «Silikon-Pam» der Dritten
Welt andreht, übersieht es – naiv oder zynisch –,
dass es andern Menschen ein Bild von USA vermittelt, welches
diese als Faust ins Gesicht empfinden müssen. Es sei denn,
es wolle diese Menschen auf den «American dream»
bringen, ihrerseits gelegentlich einen Teil des «silicon
way of life» für sich zu beanspruchen.
Kurzschluss 2: Vielen entgeht, dass jede Technik – je
komplexer, desto mehr – unzertrennlich immer auch die
Möglichkeit ihrer Sabotage in sich birgt. Handle es sich
um Eisenbahnbrücken im Zweiten Weltkrieg, Flugzeuge, Computer
oder Atomkraftwerke Der schärfste Schutz kann dies nie
ganz verhindern. Er darf es nicht, denn in den Händen eines
Diktators könnte Technik sonst zur perfekten Waffe werden.
Auch wenn konsequentere Überwachung und Vorsicht zweifelsohne
nötig sind: Vor einem Ereignis wie am 11. September 2001
in Manhattan oder am 27. September 2001 in Zug werden sie uns
nicht verschonen können. Abgesehen davon, dass jede Schutzmassnahme
bald einmal die Bürger verärgert, denen sie den Alltag
erschwert.
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Kurzschluss 3: Die Kriegsführung
gegen Osama Bin Laden als vermuteten «Kopf» des
Terrors. Eine solche Rechnung kann nie aufgehen. Wird der Kopf
abgeschlagen, wachsen der Hydra gleich mehrere nach. Und die
Bewegung hat einen Märtyrer, der sie stärkt. Wird
der Bösewicht gefangen genommen, sind unzählige Anschläge,
um ihn freizupressen, vorprogrammiert.
So hilflos einen die Feststellung machen mag: Es gibt keine
kurzfristige Massnahme zur Verhinderung des Schreckens. Was
dann?
Selbstmordattentäter rekrutiert man nicht unter satten
Bäuchen und glücklichen Gemütern. Ich höre
den Einwand, Mohammed Atta und seine Komplizen seien «white
collars», gewesen. Schon wieder ein Kurzschluss. Denn
ohne den Nährboden von Massen verzweifelter Menschen, die
nichts zu verlieren haben als ihren Hass, können auch die
Perfektionisten des Horrors nicht existieren. Ihr moralischer
Antrieb sind jene, die seit Jahrzehnten um ihre Rechte betteln
und schreien. Jene 100 Millionen Menschen zum Beispiel, die
pro Jahr direkt oder indirekt an Hunger sterben – allein
alle sieben Minuten ein Kind. Jene Zehntausende, die in Kriegen
oder Bürgerkriegen, in Asien oder Afrika, vernichtet wurden
und werden, ohne dass die Kameras von CNN innerhalb von einer
Viertelstunde auf ihr Drama gerichtet sind.
Das Thema «Ethik und Geschäft» erhält
vor dem Hintergrund des 11. Septembers 2001 eine besondere Brisanz.
Wollen wir effektiv etwas gegen den Terrorismus unternehmen,
so führt der einzig wirksame Weg über die gerechtere
Verteilung der Ressourcen dieser Erde. Alles andere ist Augenwischerei.
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