Welches
Unternehmen, welche Institution oder Behörde nimmt sich nicht
tiefgreifende Veränderungen vor? Mehr Kundennähe, unternehmerisches
Denken, Innovation, lean management sind einige Schlagwörter.
Der Druck einer immer rasanter sich verändernden Umwelt zwingt
Firmen, sich anzupassen, wollen sie im nächsten Jahrhundert
noch dabei sein. Bis in die gebohnerten Gänge der Verwaltung
ist diese Erkenntnis schon vorgedrungen.
Fast ebenso verbreitet wie die Appelle von oben zur Veränderung
ist die Klage, dass die Belegschaft den Wandel nicht oder nicht
im gewünschten Tempo mit vollzieht. Unfähigkeit im mittleren
Management wird vermutet oder gar Sabotage befürchtet.
Das stille Kämmerlein
hat ausgedient
Bei genauerem Hinsehen ist festzustellen, dass meistens die beabsichtigten
Veränderungen von der obersten Führung oder einer von
ihr eingesetzten Projektgruppe im stillen Kämmerlein ausgeheckt
wurden. Man nimmt sich die Mühe, in monatelanger Auseinandersetzung
eine Vision, ein neues Leitbild, neue Strategien auszuhecken.
Oder man krempelt Strukturen und Abläufe um, in der Hoffnung,
damit das Unternehmen entscheidend zu verändern. Ideen und
Vorschläge werden ausgebrütet und gründlich durchgewalkt,
bis man seiner Sache sicher zu sein glaubt. Dann der langen Mühe
Lohn: Die neuen Leitgedanken werden von den obersten Gremien der
Unternehmung feierlich verabschiedet und in Kraft gesetzt.
Von wegen. «In Kraft setzen» würde ja bedeuten,
dass diesen Gedanken eine durchschlagende Stärke verliehen
wird. Meist wird ihnen jedoch in der nächsten Phase jede
Kraft genommen.
Und zwar so: Jetzt bekommt die Informationsabteilung den Auftrag,
das Ding zu kommunizieren. In der Hauszeitung erscheint ein Bericht
über die Arbeit der Projektgruppe. Der Boss hält eine
Ansprache vor versammelter Belegschaft. «Hat jemand noch
Fragen?» Natürlich hat niemand – erstens ging's
viel zu schnell und zweitens will man sich ja nicht als schwer
von Begriff oder gar widerspenstig exponieren. Wer sich nach dem
Anlass in den Gängen umhört, stellt fest, dass das Ding
haufenweise Fragen aufwirft, auf Skepsis stösst oder Verunsicherung
stiftet.
Alle Mitarbeitenden erhalten eine Broschüre mit den neuen
Leitgedanken und zurück geht's in den Alltag. Schon am nächsten
Tag verkündet Abteilungsleiter X: «Vor lauter Leitgedanken
sollten wir die Alltagsarbeit nicht vergessen», und schaufelt
damit dem Ding schon kurz nach dessen Geburt das Grab. Nicht selten
geht man dann einige Monate später ans nächste Veränderungsprojekt,
bis man die ganze Tonleiter von Reengineering bis Total Quality
Management durchgeklimpert hat.
Kommunikation ist mehr
Derlei plötzlichem Kindstod liegt eine tragische Verwechslung
zugrunde: Information ist nicht Kommunikation. Die Leute, die
selbst in gründlicher Abwägung und monatelangen Diskussionen
das Ding ausgeheckt haben, von manchem Zweifel geplagt wurden
und mehr als eine Idee wieder verworfen haben, bis es ausgebrütet
war, muten ihren Mitarbeitenden zu, dieses nun binnen kürzester
Zeit zu schlucken und zu verdauen.
Dies ist nicht nur vollkommen unmöglich; eine derartige «Nahrungsaufnahme»
wäre auch höchst ungesund. Information ist eine Einbahnstrasse,
Kommunikation geht in beide Richtungen. Der Prozess der Kommunikation
ist interaktiv und iterativ. Will heissen, er findet, gleich einem
Pingpong-Spiel, zwischen Absender und Empfänger statt. Und
wie ein Pingpong-Spiel besteht er aus mehr als einem einzigen
Ballabtausch.
Emotionen mit einbeziehen
Dass Neuerungen Ängste und Widerstände auslösen
können – was Wunder? Skepsis ist dem Menschen angeboren,
gehört wohl zu unseren Instinkten. Soll eine Veränderung
wirklich greifen, müssen deshalb die Widerstände dagegen
überwunden werden, da die z.B. sein können:
- Angst vor Überforderung
- Angst vor Mehrarbeit
- Angst vor Prestigeverlust
- bereits bestehende zwischenmenschliche Probleme
- Probleme mit dem Führungsstil
- Desillusionierung, Verlust der Perspektive
- mangelnde Glaubwürdigkeit der Führung.
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Wenn es
darum geht, diese Themen offen anzugehen, hört nicht selten
auch bei der Führung der Mut zur Veränderung auf. Ironischerweise
fehlt jedoch in fast keinem Leitbild ein Satz zu «offener
Kommunikation und Mensch im Mittelpunkt». Wer meint, er
könne sich um die Auseinandersetzung mit den Widerständen
gegen eine beabsichtigte Veränderung herummogeln, findet
sich meist einige Monate später wieder aufs erste Feld zurückversetzt.
Was als Zeitgewinn gemeint war, entpuppt sich als ärgerliche
Verzögerung. Schlimmer noch: In der Zwischenzeit haben die
Verunsicherung in der Belegschaft zu- und die Motivation abgenommen,
die Glaubwürdigkeit der Führung einen Schlag mehr bekommen.
«Kommt uns nicht mehr mit irgendwelchen Programmen»,
tönt's dann etwa aus dem Personalwald.
Weniger Change-Projekte, weniger Hektik und Schaumschlägerei
wären oft mehr. Eine Unternehmenskultur, eine Corporate Identity,
ein Verhalten können nicht befohlen werden. Sie werden erst
dann wirksam (und das ist ja wohl beabsichtigt), wenn sie von
allen Menschen im Unternehmen gelebt werden. Für das jedoch
müssen sie verdaut, Teil dieser Menschen selbst geworden
sein.
Dies kann nur in einer gründlichen und aktiven Auseinandersetzung
mit einem Thema geschehen. Erst wenn wir Gelegenheit haben, unsere
«Wenn und Aber» zu einer Frage zu bearbeiten, beginnen
wir uns mit einer Idee anzufreunden. Und wir entscheiden nie rein
sachlich, sondern unsere Emotionen spielen in diesen Prozess hinein.
Das ist bei der Verwaltungsrätin nicht anders als beim Portier.
Auseinandersetzung ist nicht delegierbar.
Veränderungen aktiv umsetzen
Was heisst dies bezogen auf die Kommunikation von Veränderungsprozessen?
Die Kommunikation muss
- früher beginnen,
- länger dauern,
- in allen Stadien mehr Ideen von unten aufnehmen,
- umstrittene Fragen aktiv behandeln,
- den Sinn der Veränderung klar machen,
- nicht vor den konkreten Umsetzungsfragen halt machen,
- für alle (Führung und Mitarbeitende) verbindliche
Schritte festlegen.
Die Führung muss mehr die Richtung vorgeben, als sich in
Details zu verlieren. Leider geschieht oft das Gegenteil. Es braucht
eine mitreissende Vision für das Unternehmen und die beabsichtigte
Veränderung – diese zu finden und zu formulieren ist
unübertragbare Pflicht und Privileg der obersten Führung.
Hier sollte sich eigentlich festmachen, was das Unternehmen unverwechselbar,
in seinem Umfeld einmalig macht. Damit sollte für alle nachvollziehbar
werden, wohin der Dampfer steuert. Dass einige Allgemeinplätze
plus ein Satz zum erwarteten Return on Equity noch keine Vision
ergeben, leuchtet ein.
Je früher eine intensive und zielgerichtete Kommunikation
beim Herunterbrechen dieser Vision auf den Unternehmensalltag
einsetzt, desto grösser die Erfolgschancen. Wenn Mitarbeitende
– gleich auf welcher Ebene der Hierarchie – ihre Ideen
einbringen können, verbessert dies das Ergebnis, bestätigt
ihnen, dass sie ernst genommen werden, und verankert den Veränderungsprozess
nachhaltig. An der Führung ist es, klare Erwartungen
zu formulieren. An ihr auch, auf konkrete Umsetzung des Gedankenguts
zu pochen, denn nur was im Alltag wirkt, ist von Bedeutung.
Aus verschiedenen Gründen empfiehlt sich der Beizug einer
externen Fachperson zur Begleitung dieses Prozesses. Die Beanspruchung
durch das operative Geschäft lässt ihr häufig nicht
genug Zeit, die nötigen Kommunikationsprozesse sorgfältig
zu begleiten. Zudem ist sie emotional
Teil des Spiels, wird also von den Mitarbeitenden als Partei betrachtet,
was deren Wahrnehmung empfindlich stören kann. Und schliesslich
hilft ein frischer Blick von aussen, das Wesentliche zu erkennen
oder Übersehenes zu berücksichtigen.
Die Erfahrung zeigt, dass Veränderungsprozesse, die auf diese
Art abgewickelt werden, vielleicht etwas weniger hastig über
die Bühne gehen, dafür im Unternehmen um so tiefer Wurzeln
schlagen und sich entsprechend kräftiger entfalten.
Erschienen in «Alpha», 11. April 1998
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